Solidarische Stadtwirtschaft

Der Verein Neustart Schweiz treibt seit einigen Jahren Veränderungsprozesse in der Eidgenossenschaft voran. Er ist auch Ermöglicher des neuen Büchleins »Nach Hause kommen«. Welch ein grandioser Titel, der kaum besser in die Zeiten des Oya-Umbruchs passen könnte!

Anja Humburg, Oya 43, Mai | Juni 2017

Ähnlich wie in den vielen von Parallelen und Synchronizitäten sprechenden Leserbriefen, die die Oya-Redaktion seit September erreichen, stoße ich auch bei den Textbeitragen der Autorinnen und Autoren dieses Buchs auf Gedanken, die ein großes »Ja!« in mir aus- lösen. Neustart Schweiz kreiert die Vision eines enkeltauglichen Stadtviertels für einige hundert oder sogar tausend Bewohner. In der Mitte versorgen sich die Menschen im »Mikrozentrum« untereinander mit Leckereien im Mittagsbistro, sie machen Wäschedienst oder nehmen die Früchte einer solidarischen Landwirtschaft von außerhalb der Stadt entgegen. Die Stadt wird mit ihren Werkstätten und Depots selbst zum Ort der Subsistenz, jedoch mehr im Sinn einer handwerklich-produzierenden denn als einer landwirtschaftlichen.

In dieser Vision spielen Stadt und Land tragende, einander bedingende Rollen. Neustart Schweiz denkt und fühlt Nachbarschaften als Commons. Die Fähigkeit, das Ganze und das Künftige in den Blick zu nehmen und im Zirkel der eigenen Selbstwirksamkeit anzufangen – »in Pantoffeldistanz« –, hebt die Commonsforscherin Silke Helfrich in ihrem Schlusswort als bemerkenswert hervor. Sicherlich, die aus einem ökologisch verträglichen Fußabdruck abgeleitete Vision mag hier und da sehr strukturiert und durchorganisiert wirken, daran kann man sich stoßen. Doch ist nicht Struktur auch notwendig, um ökologisch enkeltaugliche Konsummuster zu entwickeln? Etwa dieses: 20 m2 Privatwohnraum, 2,5 m2 Anteil an Commons-Räumen, kein Auto, keine Flüge, 1000 Schiffskilometer im Jahr, 1000 Intercitykilometer im Jahr, 6 km Regionalzug pro Tag, 15 Kilo Fleisch, 20 Kilo Milch und Milchprodukte, 3 Stunden Internet pro Woche, eine Tageszeitung auf 50 Bewohner.

Die Liste konfrontiert mich mit meinen Privilegien. Die Erzählungen aus dem Leben im Nachbarschaftsquartier öffnen Raum für neue Gedankenspiele, und obwohl ich mir nicht vorstellen kann, in ein urbanes Mikrozentrum zu ziehen, weisen sie auf Bedingungen für schöne und sinnstiftende Nachbarschaftsbeziehungen hin. Die Erzählungen sind aus konkreten, bereits gelebten Zürcher Lebensprojekten – wie »Dreieck«, »Kraftwerk 1« oder »Kalkbreite« – entstanden und wurzeln in der Erfahrungswelt der Schreibenden. Es mag ein Modell unter vielen sein. Mäge es dazu anstoßen, dass jedes Territorium seine Commons-Prinzipien entdeckt!

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