Die Grandhotelverschwörung

von p.m.

Man kann sich heute kaum noch vorstellen, wie wir in den zehner Jahren lebten. Wir plagten uns zum Beispiel vierzig Stunden pro Woche ab, um all den Krempel kaufen zu können, den wir dann periodisch wieder fortschmissen (entsorgen mussten – wozu sich diese Sorgen zuerst überhaupt schaffen?). Wir pendelten per Auto zwischen sinnlosen Jobs und öden Wohnquartieren hin und her, obwohl es wissenschaftlich belegt war, dass Pendeln der grösste Unglücksfaktor in einer westlichen Gesellschaft war, noch vor Zahnweh oder dem Tod selbst (Sterben macht übrigens nicht unglücklich).1 Wir leisteten uns Dinge, die wir nicht brauchten, oder die wir uneffizient nutzten. Wir hatten unsere private Wohnfläche von 30m2 in den achtziger Jahren auf 50m2 erweitert, nur um uns dann auf dem Sofa zu langweilen. Klar, wir brauchten ein Rückzugsgebiet, eine private Wellnesszone, weil die öden Jobs uns so ausgelaugt hatten. Und wir brauchten die Jobs um die Mieten bezahlen zu können.

Die Job/Auto/Wohnungsfront war allerdings schon in den neunziger Jahren am Abbröckeln. In Zürich hatte 2015 die Mehrheit schon kein Auto mehr, und die Wohnflächen begannen zu schrumpfen, Teilzeitarbeit nahm zu. Die Absetzbewegung war im Gang. Wir merkten, dass wir ausser einer guten Matratze, einer Dusche, ein paar Kleidern und gesundem Essen gar nicht so viele Dinge brauchten. Shopping wurde zur Qual. Mode zur Folter. Das Wort «neu» zu einer Schreckensbotschaft.

Die Zeiten, als wir grosse Wohnungen brauchten, die wir als Beutemuseen unserer Shoppingfeldzüge einrichteten, waren vorbei. Wir gaben unser Geld lieber für Reisen, Computer, gutes Essen und Kultur aus als für Mieten, Möbel und Klamotten. Das Auto passte nicht mehr zum neuen urbanen Lebensstil. Das GA und eine Mobility-Karte taten es auch.

Es ist schon lange bekannt, dass der Rolls Royce das billigste Auto, ein Montblanc-Füllfederhalter das billigste Schreibzeug, der vom Schreiner im Quartier hergestellte massive Holztisch der billigste Tisch, die rahmengenähten schwarzen Schuhe (400 Franken das Paar) die billigsten Schuhe und das massgeschneiderte Hemd das billigste Hemd ist. Ein Rolls Royce hält sozusagen ewig, die rahmengenähten Schuhe 20 Jahre, das Hemd 30 Jahre. Die Moden gehen an diesen Objekten unbemerkt vorbei. Die geplante Obsoleszenz plagte vor allem die Armen, die die Anfangsinvestitionen für haltbare Dinge nicht aufbringen konnten und daher in die Konsumfalle liefen. Sie kauften 20 Schuhe für 50 Franken und gaben damit 1000 statt nur 400 Franken aus. Und es sah erst noch stillos aus. Wir machen das heute anders.

Da gibt es zum Beispiel (für Männer und Frauen) das klassische englische Tweed-Jackett für 500 Franken, das leicht 30 Jahre hält. Somit gibt man 17 Franken pro Jahr für Oberbekleidung aus. Klar sieht das Jackett im Jahr 29 ziemlich schäbig aus, aber das ist ja gerade der Trick: es ist heute in schäbige, aber teure Kleider zu tragen. Die Engländer machen daraus seit langem einen eigentlichen Kult: je älter etwas ist, umso wertvoller. Das gilt bei Möbeln, Teppichen, Mänteln, Schuhen, Häusern. Es wird nicht gleich renoviert, sondern nur notdürftig so geflickt, dass man sehen kann, dass es nur notdürftig geflickt wurde. Die Engländer fühlen sich wohl in ihren alten, geflickten Sachen. Es gilt als stilvoll in einem Haus (oder Hotel) zu wohnen, wo der Verputz abblättert, und das WC nicht funktioniert. Heisses Wasser gibt es nur sporadisch, die Heizung sorgt dafür, dass man im Winter das alte Tweed-Jackett oder einen uralten Shetlandpulli auch im Haus anbehält. Der 400 Franken teure Single Malt bietet dafür Trost. Alle Möbel stammen aus dem vorletzten Jahrhundert – falls man sie nicht geerbt hat, kauft man sie für Unsummen beim Antiquitätenhändler (dafür haben sie dann wieder Geld). Auf Urgrossvaters altem Pult steht der altbewährte UncleSteve-Computer. In einer Schublade findet man noch seinen Rechenschieber aus Teakholz. (Es ist übrigens in, mit einem alten Rechenschieber umgehen zu können.) Latein – eine stark abgenützte, unpraktische Sprache – ist auch wieder in, darum heisst es ja heute manufactum und nicht hand made. (hand made hiess de facto: in Bangladesch oder Vietnam zu Tiefstlöhnen hergestellt.) Neue Sprachen zu benützen (z.B. deutsch oder englisch) belastet die Umwelt. Schreibt man e-Mails auf Latein, spart man bald Gebühren und Energie. Das neue Handy (manuale) kann man sich dann schenken.

Was sind Holzmöbel? CO2-Senken! Wenn die Wälder wachsen, und das Holz weder verrottet noch verbrannt wird, dann wird CO2 gebunden und der Treibhauseffekt reduziert. Das gilt natürlich auch für die erwähnten Rechenschieber.

Es war ganz leicht das Abfallproblem zu lösen. Wir brauchten nur weniger Krempel zu kaufen, dafür haltbare Sachen. Als wir dann noch diese Sachen unter uns austauschten oder sie uns ausliehen, brauchten wir praktisch gar nichts mehr zu kaufen. Zum Glück leben wir nur 80 Jahre, und viele Dinge halten länger: es gibt viel zu vererben oder zu verschenken. Auch die manufactum-Bürolampe oder den Eames-Sessel kann man schliesslich nicht in die ewigen Shoppinggründe mitnehmen. Im Sarg (eine weitere CO2-Senke!) liegt sich’s bequem genug. Und falls es ein Leben nach dem Tod gibt, gibt es dort auch manufactum-Bürolampen. (Petrus muss ja die Namenslisten auf seinem Pult lesen können.) Wir müssen nur aufhören zu glauben, dass es so etwas wie das «Moderne», das «Neue» oder gar das «Modische» gibt, und schon können wir die meisten Dinge fast ewig gebrauchen. Heute ist alles alt, und das Wort Vintage gibt es gar nicht mehr. Ein Besucher aus dem Jahr 2015 würde wahrscheinlich zuerst meinen, dass es heute nur noch Clochards gibt – aber wenn er genau hinsähe, würde er bemerken, dass wir beste Qualität tragen und das ganz markenfrei.2

Schliesslich entdeckten wir, dass wir gar nicht mehr wohnen mussten. Der ganze Ärger um die Wohnungssuche, das Putzen, das Umziehen, das Möbelkaufen, war gar nicht nötig. Heute wohnen wir überall und nirgends. Kein Mensch hat mehr Möbel. Warum Möbel herumschieben, wenn doch überall schon welche stehen? Die Stadt, die Schweiz, die Welt, sind endlich bewohnbar.

Klar müssen wir irgendwo schlafen, aber das kann man ganz gut in einem Hotel3. Selbst zu kochen ist hauptsächlich ein Umweltverbrechen: 30% des Energiebedarfs der Ernährung wurde in unseren Küchen und Lebensmittelsärgen – den Kühlschränken – verursacht.4 (Lebensmittel, das waren übrigens diese lampigen Objekte, die lange herumlagen und dann in den Abfall wanderten bzw. «entsorgt» wurden.). Im Jahr 2015 fanden wir es heraus: Der Mensch ist dazu gemacht in einem Grandhotel zu leben (eine andere Erfindung der Engländer - man findet sie überall in der Schweiz noch).5 Grandhotels sind die modernen Nomadenzelte, Basislager oder Unterstände. Endlich sind wir angekommen. Wir sind alle Gäste auf diesem Planeten, die für durchschnittlich 80 Jahre pauschal gebucht haben.

Die Zimmer können von allen benutzt werden und eben nur, wenn man sie wirklich braucht. Es lohnt sich solide Möbel anzuschaffen. Gekocht wird in vernünftigen, grösseren Mengen und daher hocheffizient in der Hotelküche, die Lagerhaltung ist dank professioneller Einrichtung und grosser Mengen abfallfrei. (Grosse Mengen lassen sich leichter planen, weil die Schwankungen statistisch relativ kleiner sind.)

In den Salons, Fumoirs, Bibliotheken, Billiardzimmern, Ball- und Esssälen im Erdgeschoss wird getanzt, geraucht, gelesen, gespielt, getratscht und geschrieben, ohne dass jemand ein Möbel, ein Buch, einen Teller, kaufen müsste. Es gibt sogar betreute Kinderspielräume – etwas abgelegen – so dass auch Eltern bei all dem mitmachen können. Diese gemeinsam nutzbaren Räume sind ökologisch sehr effektiv, pro Person fallen nicht mehr als zwei Quadratmeter an (das macht 1000m2 bei 500 Gästen). Dazu kommen noch 20m2 für das Zimmer, macht 22m2. Früher waren es gegen 50m2: Diese Räume mussten beheizt werden. Sie mussten gebaut und unterhalten werden. Das führte dazu, dass Wohnen einen Viertel unserer Umweltbelastung ausmachte.6 Ein Wahnsinn! Dabei bringt Wohnen nur Kummer und Sorgen. Wohnungen fixieren uns an einem Ort, lähmen unsere Bewegungsfreiheit, generieren viel Arbeit. Umziehen ist ein Krampf. Zieht jemand um von einem Grandhotel in ein anderes, braucht er nur eine kleine Tasche zu packen. Sie braucht nicht einmal Kleider mitzunehmen, denn jedes Grandhotel hat eine Ausleihgarderobe, Bettwäsche ist schon da, Schirme gibt’s auch, Zahnbürsten ebenfalls. Sogar Unterwäsche S M L XL (nur in schwarz).

Aber der Ärger mit dem Personal? Hotelzimmer sind teuer – wer kann sich das leisten? 50m2 Wohnraum kosten ca. 10‘000 Franken pro Jahr, 28 Franken pro Tag, wenn man Glück hat (für zwei Personen wäre es eine Monatsmiete von 1700.- Franken). Hotelzimmer (20m2) kosten auch nicht mehr – etwa die Hälfte, also 14 Franken pro Tag. Was sie teuer macht, ist der Service. Dieser lässt sich aber unter die Gäste als Ersatz für die eingesparte Hausarbeit aufteilen. Früher leisteten wir etwa 11 Stunden Hausarbeit pro Woche, Männer 6, Frauen 16 Stunden.7 Wenn wir im Grandhotel 5 Stunden einsetzen, bei 350 arbeitsfähigen Gästen (ganz Alte, Kranke und Kinder ausgenommen), dann haben wir 1750 Stunden pro Woche zur Verfügung, das sind 44 Vollzeitjobs, die wir für Kochen, Waschen und Servieren einsetzen können. (Reinigung und Unterhalt sind ja als Nebenkosten bei den Mietkosten schon inbegriffen.) Wenn wir dazu noch ein paar Profis (sagen wir 6: Köchin, Sommelière, Nanny, Sekretärin, Pianist, Lateinlehrerin)8 einstellen, dann kostet das 360‘000 .- (bei einem Monatslohn von ca. 5000.-) pro Jahr, 720 Franken /Bewohner, also 60 Franken mehr pro Monat, 2.- pro Tag, macht 16.-. Nehmen wir dazu noch die LebensLebensmittelkosten, 300.-/Person/Monat, dann bekommen wir für 26 Franken/Tag, 780.-/Monat, Vollpension mit Service. Für eine vierköpfige Familie sind das dann 3120 Franken (Kinder voll gerechnet) auf 80m2, wahrscheinlich aber eher weniger. Familien können ihre Zimmer mit Zwischentüren zu Suiten verbinden. Wenn die Kinder gross sind, werden die Türen geschlossen, und werden die Zimmer wieder frei. Nur 10 -14% der Zürcher Bevölkerung leben in Familien, «Familie» ist also nur eine Phase, die etwa 15 Jahre dauert. Es ist völlig abwegig für diese Phase sog. Familienwohnungen zu bauen. Dann hat man wieder seine Ruhe. (Besuchen kann man sich aber jederzeit, es hat ja in jedem Grandhotel nur Gästezimmer, wovon 5% immer frei sind.)

Natürlich kommen noch andere Ausgaben dazu: der Hotelbus, der einen zum Bahnhof oder zur nächsten ÖV-Haltestelle bringt, der Unterhalt von Bibliothek, Humidor, Weinkeller, der Ersatz von Wäsche und Geschirr, Reparaturen usw. Dafür spart man aber das Auto (es hat dafür ein paar Leih-Rolls Royces und Motorräder), das sind 667.- /Monat. Kaufen muss man praktisch nichts mehr. Im Haus gibt’s schon viel Kultur, man geht ja jeden Tag aus. Da die 14’000 Grandhotels der Schweiz (niemand will mehr anders wohnen) eine einzige Kette (Hostalia Magna Helvetica, HMH) bilden, wie früher Macdonald’s oder Ibis, kann man jederzeit in einem andern absteigen, wenn man sich mit allen Gästen zerstritten hat. Wenn man «wandern» will, geht man einfach los, bis die Jacke nass ist und steigt dann in einem andern Grandhotel ab (jedes hat wie gesagt eine Zimmerreserve von 5%), duscht, und holt sich ein trockenes Jackett aus der Garderobe. Einen Single Malt und eine Cohiba Corona später ist alles wieder im Butter, ganz ohne Mammut und Odlo.

Der Umbau der Schweiz zu den Grands Hotels dauerte nur 5 Jahre und erzeugte die verschiedensten und buntesten Hotel-Formen: Blockrandhotels, Hochhaushotels, diffuse Dorfhotels, mit Zwischenbauten verbundene Agglohotels usw. Einzig aus den Einfamilienhaussiedlungen liess sich nichts Vernünftiges machen: sie wurden vom Zivilschutz abgerissen und wieder in stadtnahes Landwirtschaftsland zurückverwandelt. Ländliche Weiler dienten als Dépendences für die Lebensmittelproduktion der Hotels, meist ergänzt durch einen Gasthof mit Metzgerei, Käserei, Minigolfanlage, mit Zimmern für arbeitende und andere Gäste. Die Alpen wurden (mit Ausnahme der dortigen Grandhotels) leer geräumt. Tourismus wurde verboten, Herumlaufen in vernünftigen Schuhen und Tweed-Jackets aber erlaubt.

Wir sind nicht nur Gäste, sondern haben irgendwo noch Jobs, zum Beispiel als Pianist in einem andern Grandhotel; doch viel Arbeit fällt nicht mehr an: gebaut wird nichts mehr, Autos gibt’s kaum mehr (früher hing jeder 7. Job am Auto), es müssen nur noch halb so viel LebensLebensmittel erzeugt werden, Möbel, Kleider, Haushaltkrempel, wird kaum noch neu hergestellt, Zeitungen braucht es einige wenige für das Lesezimmer, Verpackungen fallen keine mehr an, alle Supermärkte und Shoppingcenter konnten schliessen (samt Autobahnzubringern), Ökodesign (haltbar, reparierbar usw.) lohnt sich, Wachstum und Fortschritt entfallen, weil niemand mehr daran glaubt, der Computergebrauch kann auf einen Salon im Erdgeschoss und ein paar Leihhandys, die man an der Réception beziehen kann, beschränkt werden. Man kommt jetzt gut mit 50% der damaligen formellen Arbeit aus, also mit vier Stunden pro Tag, oder eher 1200 Stunden, oder 150 Arbeitstagen, pro Jahr (es ist manchmal sinnvoller und verkehrsmässig effektiver, einen Monat voll zu arbeiten und dann ein Vierteljahr Pause zu machen, statt jeden Tag für vier Stunden irgendwohin zu fahren – aber das hängt von der Art der Arbeit ab). Neben dieser Profiarbeit (als Kampfpilotin, Gehirnchirurgin oder Richterin) fallen allerdings noch vier Stunden Arbeit im erweiterten Haushaltbereich an. Man hat Küchendienst, Waschdienst, man ist im Service. Man darf einander die Betten machen. Da jedes Grandhotel seine LebensLebensmittel auf einem Hof der Region (das braucht 80ha) selbst produziert und einen Teil der Landarbeit übernimmt, konnte ihr Preis leicht halbiert werden, und die Pensionskosten sanken weiter (von 780.- auf 570.-, also 2280.- für die Familie). Wahrscheinlich wären es um die 2000.-, weil wir die Kinder immer voll gerechnet haben.

Nach dem Schema von Frigga Haug9 (4x4) teilt sich unser Tag im Schnitt in vier Stunden professionelle und bezahlte Arbeit, in vier Stunden Hausarbeit (inkl. Pflege, Landwirtschaft, kleine Heimproduktion wie Backen, Bohnen dörren, Schnaps Brennen), in vier Stunden gesellschaftlich/kommunikative Arbeit (Besprechungen, Politik, Schimpfen, Loben) und in vier Stunden individuelle Betätigung (Gähnen, Rauchen, Trinken, Tanzen) auf. Der Rest ist Schlaf. Geld kommt nur noch aus der professionellen Arbeit (also ca. 1350.- Franken/Monat/Person), wobei allerdings die Ausgaben drastisch geschrumpft sind. Ein Teil der Gesundheitskosten entfällt, weil interne Pflege in den Hotels gut organisiert werden kann. Die meisten Zimmer sind per Lift erreichbar und barrierenfrei, also für Alte und Menschen mit Behinderungen gut geeignet. Es braucht keine Altersheime mehr. Die Gäste oszillieren um den durchschnittlichen demographischen Mix herum.

Da die Hausarbeit auch gegenseitige Leistungen wie Pianostunden, Lateinunterricht, Nackenmassagen, Haareschneiden, Hemdenschneidern usw. umfasst und unentgeltlich ist, sanken die Kosten weiter, wobei der Komfort stieg. Als wir all das ausgerechnet hatten, kamen wir zum Schluss, dass man das ganze Paket, wie früher Pauschalferien, gleich für alle BewohnerInnen ab Geburt als GH-GA gratis machen konnten (Kost/Logis/Transporte/Gesundheit usw.). Den Lohn brauchten wir nur noch für Extras, Reisen ins Ausland (wo sich das GH-Modell zunehmend durchsetzt), für Geschenke und Schmuck. Wir hatten eine echte Lösung gefunden.

Schliesslich sollten wir nicht vergessen, dass die Grandhotels eines Quartiers, einer Stadt oder einer Region und auch eines Territoriums kooperieren. (Latein ist logischerweise die Sprache der Confoederatio Helvetica – neutral und nicht ethnisch gebunden. Der Papst spricht es so schlecht, dass er nicht zählt.) Sie haben eigene Betriebe für die Produktion von Bettwäsche, Reinigungsmitteln, Kochmützen, Brauereien, Schreinereien usw. und können so Kosten senken.
Zwanzig bis dreissig Grands Hotels bilden für verschiedenste Funktionen Cluster in Fussdistanz, auch Munizipalgemeinden genannt: dort befindet sich das Grandhotel de Luxe für besondere Gäste oder besondere Gelegenheiten, das von allen Hotels gemeinsam betrieben wird. Es liegt an einem belebten Platz, wo sich Spezialgeschäfte, Grands Cafés, die Verwaltung, (Latein-)Schulen, Thermen, Polizei (wer klärt den Mord im Fumoir?), Poliklinik, Theatersaal, Schneider, Schuhmacher usw. zusammenballen. Es gibt 600 solche Cluster auf dem ehemaligen schweizerischen Territorium, 450‘000 auf der ganzen Welt.10

Die Grandhotels gelten als guter Kompromiss zwischen unseren nomadischen und sesshaften Instinkten. Die Standards sind – natürlich mit lokalen Anpassungen – überall auf der Welt etwa die gleichen. Nationale und andere Grenzen haben sich weitgehend aufgelöst, wir sind einfach Gäste einer einzigen, globalen Hotelkette, wie früher schon bei Ibis, Sheraton oder Hilton. Es gibt Menschen, die wohnen ihr ganzes Leben lang im gleichen Hotel, andere sind dauernd unterwegs. Ihre Rechte und Pflichten sind die gleichen. Begriffe wie Einwanderung, Auswanderung, Aufenthaltsbewilligung usw. haben ihre Bedeutung verloren. (Erst wenn die Aliens kommen, müssen wir vielleicht wieder umdenken.11)

Anmerkungen

  1. Daniel Kahneman, Thinking Fast and Slow, 2011; S. 394; sogar Arbeit macht weniger unglücklich; am glücklichsten macht gemäss Kahneman «ein mit Freunden verbrachter Tag». (Sex macht aufs Leben umgelegt nicht so glücklich, weil er relativ kurz dauert.)
  2. Das erinnert mich an meinen Freund S., der damals, als die Lacoste-Leibchen noch etwas Besonderes waren, das Krokodil fein säuberlich entfernte, so dass nur er selbst wusste, dass er ein Lacoste-Leibchen trug. Ausser mir natürlich, der ihn damals bei dieser kniffligen Arbeit ertappte. Es gibt heute spezialisierte Werkstätten, wo man Logos aus alten Klamotten entfernen lassen kann. Auch den dritten adidas-Streifen kriegt man weg, wenn auch mit Mühe.
  3. Zur Illustration mögl. ökologischer Nachbarschaften.
  4. Marcel Hänggi, Ausgepowert, 2011, S. 76
  5. Ältere Sozialdemokraten mögen sich noch an den Artikel ihres Parteigenossen Karl Bürkli im Volksrecht vom 18. Juli 1898 erinnern, der Sozial-, Volks-, Proletarier- oder Konsumpaläste nach dem Modell der Bourgeoispaläste vorschlug: «Solche Bourgeoispaläste gibt es ja im Schweizerland zu hunderten, unsere Fremdenhotels sind ja weltberühmt und wegen ihres Comforts, den sie den Fremden bieten, mustergültig; aber in einem solchen Hotel, es mag noch so gross sein, für hunderte von Fremden Schlafräume und Zimmer haben, findet man doch nur eine Küche, nur einen Keller, nur ein Restaurant, wo jeder nach der Karte oder an der table d’hôte speisen kann, exakt so wie im Proletarierpalast, nur raffinierter, aber auch teurer.»
  6. BFU, 2012; 24%
  7. «Von den 22.5 Stunden Hausarbeit, die laut unserer Stichprobe (Auswahl der Fälle wird weiter unten beschrieben) durchschnittlich pro Woche in einem Paarhaushalt anfallen, erledigt der Mann im Durchschnitt 5.7 und die Frau 16.8 Stunden. Männer erzielen im Durchschnitt 70% des Einkommens beider Partner und erledigen 30% der Hausarbeit, während Frauen 30% des Einkommens erzielen und 70% der Hausarbeit erledigen.» (Statistik-Hausarbeit bei Dr. Klaus Haberkern; FS 2011, Soziologisches Institut, Universität Zürich) Das BfS geht sogar von 44,6 Std. Haushaltarbeit für den Normhaushalt aus – ein Vollzeitjob! (Tages-Anzeiger, 27.5.2014, S.6)
  8. Im *****Hotel Waldhaus Sils bedienen 154 Angestellte 290 Gäste. Wenn man einiges selber macht (Zimmerservice 22 - Wäscherei bleibt bei 11; Kulturprogramm 3; Service 16 statt 33 usw.), die Verwaltung reduziert und die Gastronomie (3-Gang-Menu statt 5) einfacher gestaltet, dann kommt man mit der Hälfte gut durch. (TEC21 XX/2013; S.4)
  9. Frigga Haug, Die Vier-in-Einem-Perspektive, 2012
  10. P.M., The Power of Neighborhood and the Commons, Autonomedia New York, 2014, S. 50
  11. Wissenschaftler haben sich schon lange darüber gewundert, dass noch keine intelligenten Wesen aus dem All uns besucht haben. Leider spricht es gerade für ihre Intelligenz, dass sie das noch nicht getan haben: wer würde schon freiwillig einen solchen Planeten besuchen wollen! Nach der GH-Revolution könnte es allerdings nötig werden die intergalaktische Masseneinwanderung mit Kontingenten zu kontrollieren.

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